Denkparasiten und Wissensqualität
 
 
Die grundlegendste aller Fragen bezieht sich weder darauf, woher wir kommen, noch darauf, wohin wir gehen. Die grundlegendste und zugleich schwierigste aller Fragen lautet: Was ist Wissen?
 
Die Schwierigkeit bei der Beantwortung dieser Frage liegt darin, daß die hierzu verwendeten Instrumente wiederum aus Wissen bestehen: Der Erkenntnisfortschritt über das Wissen hielt sich bislang in sehr engen Grenzen.
Stattdessen wurden immer wieder neue »Denkparasiten« erzeugt, zur Illustration schlage man nach bei Ringelnatz:
 
Es stand sehr schlimm um des Bandwurms Befinden,
Ihn juckte immer etwas hinten.
Dann konstatierte Doktor Schmidt,
Nachdem er den Leib ihm aufgeschnitten,
Daß dieser Wurm an Würmern litt,
Die wiederum an Würmern litten.
 
Unser Grundproblem läßt sich kaum sinnvoll ohne die Berücksichtigung von Nichtwissensaspekten lösen, frei nach Wittgenstein: um dem Wissen eine Grenze zu ziehen, müsste man eigentlich beide Seiten dieser Grenze kennen – man müsste also wissen, was man nicht wissen kann.
 
Das Phänomen der Passiven Desinformation (des qualitativen blinden Flecks) ist der Schlüssel zur Wissensqualität. Ohne seine Berücksichtigung gibt es kaum Alternativen zur blinden Identifikation. So wurde bislang traditionell jegliche Vernunft, die einer Identifikationsorientierung widerspricht, verteufelt:
 
Natur ist Sünde, Geist ist Teufel,
Sie hegen zwischen sich den Zweifel,
Ihr mißgestaltet Zwitterkind.
Goethe
 
oder zumindest als verbrecherisch diskreditiert:
 
Siehe die Gläubigen aller Glauben!
Wen hassen sie am meisten?
Den, der zerbricht ihre Tafeln der Werthe,
den Brecher, den Verbrecher:
das aber ist der Schaffende.
Nietzsche
 
Servan schrieb 1767: »Ein schwachsinniger Despot kann Sklaven mit eisernen Ketten zwingen; ein wahrer Politiker jedoch bindet sie viel fester durch die Kette ihrer eigenen Ideen; [...] Dieses Band ist umso stärker, als wir seine Zusammensetzung nicht kennen und es für unser eigenes Werk halten. Verzweiflung und Zeit nagen an Ketten aus Eisen und Stahl, sie vermögen aber nichts gegen die gewohnheitsmäßige Vereinigung der Ideen, sondern binden sie nur noch fester zusammen. Auf den weichen Fasern des Gehirns beruht die unerschütterliche Grundlage der stärksten Reiche« (zitiert von Foucault).
 
 
 
Die Entwicklung zur global vernetzten Wissensgesellschaft ist ein kultureller Evolutionssprung, der sich (insbesondere für rohstoffarme Nationen) kaum mit den seit Jahrhunderten weitgehend unveränderten Steuerungsmechanismen bewältigen läßt. Auch »stärkste Reiche« können wieder auf das Niveau von Entwicklungsländern absinken, wenn schlechte Entscheidungen getroffen werden bzw. wenn sich die Rahmenbedingungen grundlegend ändern.
Nun werden aber viele Organisationen erst durch Desinformation begründet (und mehr oder weniger künstlich am Leben erhalten). Wissenszufuhr kann dort zum Zusammenbruch führen. Andererseits begünstigt jede Tabuisierung des Themas wiederum neue Probleme und ausbeutbare Spielräume, womit nicht zuletzt auch ethische Aspekte betroffen sind. Gefordert ist ein verantwortungsvoller Umgang mit unserer Basisschwäche.
 
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